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Wie der Kaiser zur Welt kam

Die Cousine der Schwester einer Bekannten besucht einen Geburtsvorbereitungskurs, eines Nachmittags watschelt man gemeinsam im örtlichen Kreißsaal ein. Großzügige Räume in sanften Pastellfarben, Wannen und Halteseile, freundliche und feste Stimmen.

Ein unbändiges Glucksen ist in ihr, so viel Glück, gute Hoffnung und freudige Erwartung!

Bringen Sie sich eine schöne CD mit, vielleicht ein Duftöl,

kaum zu Hause packt sie beides in die schon lange neben der Tür stehende Kliniktasche. Wenige Tage später spürt sie ein Knacksen im riesigen Bauch, es fühlt sich laut an, schon rinnt ihr süßes Wasser die Beine hinab. Die ganze Fahrt über ins Krankenhaus muss sie lachen, so sehr freut sie sich. Auf die Geburt, auf ihr Kind, auf die ganze Menge an neuem Leben. Sie lacht, als sie aus dem Auto steigt und eine Wehe sie in die Hocke zwingt. Sie lacht, als sie am Arm ihres Mannes den gepflasterten Weg zum Kreißsaal entlang wankt und auch noch, als sie die Klingel drückt.

Eine Frau öffnet, und ihr Lachen hört auf.

Hat sie sich in der Tür geirrt?

Zusammengezogene Augenbrauen, Hände in tiefen Kitteltaschen, die Lippen der Frau sind ein schmaler Strich.

Ja?

Also, unser Kind kommt. Die Fruchtblase ist schon geplatzt. Wir dachten, also, es ist das erste, und da wollten wir lieber schon mal...

Na gut, sagt der schmale Mund. Dann kommen Sie 'rein. Im Wartezimmer ist Platz. Nur auf die überzogenen Stühle.

Sie setzen sich auf die überzogenen Stühle, Blumenmuster unter Plastik, das Lachen kommt zurück.

Und dann die Frau.

Ich werde sie jetzt rasieren, falls sie nicht rasiert sind.

Sie ist es nicht und erhält von ruppiger Hand eine neue Frisur, während die Wehen an Stärke gewinnen.

Das ist noch gar nichts, sagt die Frau zwischen ihren Beinen.

Ach so?

Ja.

Darf ich dann in die Wanne?

Die müssen sie sich schon selbst einlassen, kann ja ihr Mann machen.

Ja, klar, kann er. Gibt es einen CD-Player und 'ne Duftlampe?

Firlefanz hat noch kein Kind zur Welt gebracht, furchtbar diese ganzen Schwangerschaftsbücher.

Ach so.

Später liegt sie im Wasser, die Frau ist weg, aus dem Nichts kommt die Übelkeit.

Eine Tüte, schnell. 

Viele Stunden und Tüten später hört es immer noch nicht auf. Sie würgt und würgt und würgt, zu kotzen gibt es schon lange nichts mehr, zwischendurch rollen Wehen mit urkräftiger Wucht.

Bitte such die Frau, schluchzt sie, ihr Mann reißt gerade wieder eine Tüte aus irgendeinem Spender.

Irgendwas stimmt nicht. Ich krieg' so schwer Luft.

Ok. 

Schrecklich sieht er aus, hilflos, eine Tür geht auf und wieder zu, es dauert bis er zurückkommt.

Sie sagt, das gehört dazu, du musst loslassen. Sie isst gerade was. Also, Käsebrot. Sie kommt dann.

Hinter jedem Satz schwebt ein fassungsloses Fragezeichen.

Tüte!

Ok!

Endlich ist die Frau da. Hände in tiefen Kitteltaschen, vom Wannenende aus starrt sie auf sie herab.

Die Beine müssen auseinander, wie soll da sonst was 'rauskommen.

Ich krieg' so schwer Luft.

Übel?

Sehr.

Gut.

Die Frau kramt in einer Schublade, klopft einige winzige Kugeln aus einem Fläschchen und verlangt nach ihrer Hand.

Unter die Zunge, zergehen lassen, sie dreht sich weg bevor sie die Hand zurück zieht.

Sie bedankt sich und weint, die Frau geht, ihre Hose macht ein steifes Raschelgeräusch.

Erst jetzt kommt die Angst, gewaltig, und bleibt.

Eine sehr lange Weile später, ihr Mann irrt gerade auf der Suche nach Hilfe durch neonbeleuchtete Flure, überfordert und verzweifelt, ist die Frau wieder da.

Mit einer anderen Frau.

Schichtwechsel.

Ich hab' Feierabend, alles Gute Ihnen noch, zum ersten und einzigen Mal in dieser Nacht verziehen sich die schmalen Lippen zu einer Art herzlichem Lächeln. 

Die andere Frau ist eine Hebamme, so wie die erste Frau vermutlich auch, bis heute kann sie ihr diesen Titel nicht zugestehen ohne vor Wut zu zittern.

Die Hebamme untersucht sie, misst Herztöne.

Oh Gott, Scheiße, sie fischt nach einem Rufgerät.

Plötzlich sind überall Ärzte, knappe Anweisungen, routinierte Griffe.

Eine Schwester streichelt ihre Hand, alles gut, schschsch, sie wird das nie vergessen.

Sie kämpft um Atem und Luft, hört sich selbst, sporadisch, erstickend, es sind Tierlaute.

Ich sterbe, denkt sie. Wir sterben.

Dann verschwimmen die Gesichter, es wird es dunkel, Schnitt und Schrei finden ohne sie statt.

Unverhofft hebt sich Stunden später der Schleier, erst sekundenlang, schließlich ganz. 

Es ist da.

Er lebt.

Sie lebt.

Eine winzige Träne aus Fruchtwasser rollt seine Wange hinab, er ist schön. Ein kleiner König denkt sie, nein, ein Kaiser, zum Glück unversehrt, auf die Welt gerettet.

Dankbarkeit und Liebe fluten jede ihrer und seiner Zellen.

Ihr Mann schiebt das Bett mit einem Krankenpfleger in einen Aufzug, tiefe Augenringe hat er, sie reißen irgendeinen Witz, sie schließt die Augen und saugt das Lachen in sich auf.

Das Duftöl und die CD vergisst sie im Kreißsaal.

Genau so hat es angefangen.

Und so geht es weiter: der Kaiser bekommt noch zwei Schwestern.

Die Königinnen haben Glück, Hebammen sind da, von Anfang an. Dazu eine enge Freundin bei Königin eins, die sie ihrem beim Gedanken an die Kaisergeburt immer noch erbleichenden Mann vorzieht.

Viel Schmerz, die glühende Sorte, aber keine Angst. Das Gefühl, gehalten zu werden, sicher, einem vertrauenswürdigen Plan folgend. Zwischen strengen Worten, fast Befehlen, wird gelacht.

Liebevoll, mit größtem Respekt für das gerade die Welt betretende Leben.

Wenn der Atem die falsche Richtung nimmt, pusten und prusten alle zusammen, sie krallt ihre Finger in Arme und Schultern, droht und zetert, schimpft und jammert. Dann geht es weiter, bis das Ziel erreicht ist.

"Spontangeburt", wird jeweils abschließend vermerkt. Und dass das erstgeborene Geschwisterkind notfallmäßig geholt worden war.

Sie spürt keine Enttäuschung über diesen Kaiserschnitt.

Alle drei Kinder sind gesund, fröhlich und stark, auch das eine, dem keine nützlichen Bakterien aus dem mütterlichen Geburtskanal vergönnt gewesen waren.

In ihr selbst bleibt die Erfahrung haften, ausgeliefert gewesen zu sein wie ein gestrandeter Wal,

und weder Wärme noch Hilfe erfahren zu haben.

Zeitweise macht sie das krank, das Ersticken ist in ihren Träumen, der abfällige Blick der Frau hat sich in ihr Eingemachtes gebrannt.              

Sie schreibt ihr, auf der Suche nach einer Erklärung.

War viel los gewesen in dieser Nacht, obwohl es so ruhig schien?

Wäre es nicht besser gewesen, davon gewusst zu haben?

Hatte sie gedacht, dass ja jemand dabei ist?

Und dabei die Möglichkeit außer acht gelassen, dass anwesende Jemande ins Schleudern geraten können, wenn sie es mit einem japsenden Zimmerspringbrunnen zu tun bekommen?

Eine Antwort kommt nie.

Die hitzige Debatte pro und contra Kaiserschnitt erlebt sie staunend, je bitterer sie wird vom Vorgeschmack auf die Gratis-App zur Kindsgeburt, das Gefühl mütterlichen Versagens.

Auf die nagende Angst davor, erwischt zu werden, ohne zu wissen was es eigentlich zu erwischen gäbe, wer eventuelle Erwischbarkeiten bestimmt und nach Schweregrad einsortiert.

In einer Fernsehsendung rät eine Frau mit buntem Halstuch werdenden Müttern, es sich nicht so einfach zu machen, auch mal an die Kinder zu denken. Eine natürliche Geburt sei in nahezu allen Fällen möglich, was sich die Frauen heute nur dächten, es sei nun mal kein Spaziergang.

Doch, denkt sie, und mit viel Glück hat man eine Begleitung dabei, die sich auskennt und gerne mitkommt.

Unverzichtbare Weggefährtinnen, Hebammen!

Und mit großem Pech - ach, 

Tüte! 

Schnell!